Notstand an Pflegekräften
„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht…“
– der berühmte Vers von Heinrich Heine, könnte heutzutage wunderbar aus dem Mund des Leiters einer Pflegeeinrichtung stammen. Deutschland fehlen nicht nur regional Ärzte, sondern flächendeckend auch Pflegekräfte.
Das wird so manchem Leiter von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern schon schlaflose Nächte bereitet haben. Obwohl man immer häufiger bereits EU-weit sucht, finden Arbeitgeber immer seltener ausreichend Pflegekräfte für ihre Einrichtungen. Verzweifelt gehen Arbeitgeber ungewöhnliche und sehr weite Wege, um qualifiziertes Pflegepersonal zu finden. Woran liegt dieser Mangel und was müsste getan werden, um einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden?
Die Zahl Pflegebedürftiger steigt
Aufgrund des demographischen Wandels ist mit einer stetigen Zunahme an Pflegebedürftigen zu rechnen. Laut Bundesministerium für Gesundheit leben rund 2,86 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland (Stand: 2015). Die Prognose des Ministeriums zeigt einen deutlichen Anstieg:
Auf Basis einer dauerhaft konstanten altersspezifischen Pflegewahrscheinlichkeit würde die Zahl der Pflegebedürftigen in der sozialen Pflegeversicherung auf 3,62 Millionen im Jahr 2030 bzw. 4,51 Millionen im Jahr 2045 ansteigen. Dies ist nur eine von zahlreichen Prognosen, die deutlich machen, dass der Gesundheitssektor großen Herausforderungen gegenüber steht.
Der Arbeitsmarkt im Bereich Pflege unter Druck
In fast allen Bundesländern ist ein Fachkräftemangel in der Gesundheits-, Krankenpflege sowie im Rettungsdienst und Geburtshilfe zu verzeichnen. In Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen deuten die Indikatoren auf Engpässe hin.
Der Fachkräftemangel in der Altenpflege fokussiert sich auf examinierte Fachkräfte und Spezialisten und zeigt sich ausnahmslos in allen Bundesländern. In keinem Bundesland stehen rechnerisch ausreichend arbeitslose Bewerber zur Verfügung, um damit die der BA gemeldeten Stellen zu besetzen.
Die Suche im Ausland – ist das die Lösung?
Schon länger versuchte die Agentur für Arbeit, Pflegekräfte im europäischen Ausland zu finden – schließlich herrscht in einigen europäischen Ländern eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Da müsste doch eine Pflegestelle in Deutschland wie gerufen kommen. Von den bundesweit 210.000 Azubis im Gesundheits- und Sozialwesen besitzt rund jeder Siebte eine ausländische Staatsangehörigkeit. Die meisten haben einen türkischen Pass, gefolgt von Menschen aus Bosnien und Herzegowina sowie Polen. Unter den Arbeitskräften im Gesundheitsbereich stellen dagegen die Polen die größte ausländische Gruppe. Auch die meisten ausländischen Altenpfleger (derzeit 8.500 Beschäftigte) haben einen polnischen Pass. Über Abkommen mit Serbien, Bosnien und Herzegowina und den Philippinen soll zusätzlich Pflegefachpersonal nach Deutschland geholt werden. Auch ein Projekt mit der chinesischen Arbeitsverwaltung existiert. Pfleger Marek, Schwester Giovanna und Altenpflegerin Dimitra würden die Großmutter gerne pflegen und der weit gereisten Schwester Ling Shu zukünftig Gesellschaft leisten. Viele spanische Pflegekräfte gehen jedoch wieder zurück in ihre Heimat, weil die Bedingungen hier so schlecht sind.
Wie attraktiv ist Deutschland für ausländische Pflegekräfte?
Deutschland steht im internationalen Wettbewerb mit vielen Nationen. Deutschland bleibt jedoch weiterhin wenig anziehend für qualifizierte ausländische Arbeitnehmer. Damit das kein Dauerzustand bleibt und das Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland flächendeckend und umfangreich funktionieren kann, müsste es in Deutschland jedoch zunächst zu grundsätzlichen Veränderungen kommen. Dazu gehört zum Beispiel der Abbau des Bürokratieaufwands für ausländische Bewerber. Auch unflexible Tests zur Feststellung der Sprachkenntnisse sowie Probleme bei der Anerkennung der Qualifikationen in Deutschland machen Pflegeberufe für Ausländer in Deutschland weiterhin nicht attraktiv. Somit sehen bislang viele Personalchefs die Lösung in einem anderen Weg, um ihre Personaldecke zu flicken: Mitarbeiter sollen weitergebildet, das Betriebsklima verbessert und der Krankenstand gesenkt werden. Viele Unternehmen wollen auch mehr ausbilden und die Option, Mitarbeiter von der Konkurrenz abzuwerben, ist für die Unternehmer attraktiver. Doch wie lange wird das noch gut gehen?
Ein düsteres Bild zeichnet sich ab. Für die Zukunft malt das Wirtschaftsinstitut Prognos AG in seiner Studie “Pflegelandschaft 2030” noch dunklere Wolken an den Himmel des deutschen Arbeitsmarktes. Man befürchte gesamtwirtschaftliche Auswirkungen spätestens dann, wenn sich vorhandene Fachkräfte anderer Branchen verstärkt gezwungen sehen, ihre pflegebedürftigen Angehörigen selbst zu pflegen.
Das Image des Pflegers: Ist Helfen out?
Offensichtlich ist aber auch der Pflegeberuf selbst nicht attraktiv genug, um für junge Menschen aus Deutschland und auch Quereinsteiger aus anderen Berufszweigen als Alternative in Frage zu kommen. Pflegeberufe sind und waren in Bezug auf Bezahlung und Arbeitsbedingungen lange Zeit echte Stiefkinder. Tätigkeiten examinierter Pflegekräfte wurden nicht selten auf Zivildienstleistende und Praktikanten abgewälzt. Eine wohlhabende Gesellschaft wie die deutsche muss jedoch vielmehr anerkennen, dass qualifizierte Pflege durch motivierte Arbeitnehmer ihren Preis hat – spätestens wenn unsere Generation selbst gepflegt werden muss, wird man sich an die Versäumnisse von heute erinnern.