Immer mehr Pflegeheime stellen sich auf die wachsende Gruppe von Alzheimer-Patienten ein. Dabei schlagen sich zunehmend auch wissenschaftliche Erkenntnisse in den baulichen und therapeutischen Maßnahmen der Pflegeheimbetreiber nieder.
Aktuell leiden 1,2 Millionen Menschen in Deutschland an Alzheimer. Tendenz stark steigend. Wer sie betreut, sollte ihre „kognitiven Reserven“ stimulieren. Demente Menschen finden ihr Zimmer leichter, wenn es nicht durch Zahlen oder Namen markiert ist, sondern mit Fotos, die sie als 40-Jährige zeigen. Denn im Langzeitgedächtnis ist dieses Wissen am ehesten noch abrufbar. So bewahrt sich der Betroffene ein Stück Autonomie. Auch Nachtcafés, in denen nachtaktive Senioren willkommen sind, verbessern die Lebensqualität.
Kreisförmig angelegte Wohngruppen
Es sind Beispiele wie diese, die Jörg Schulz in die Pflegedebatte einbringt. Der 50-jährige Mediziner, seit 2009 Direktor der Neurologischen Uniklink in Aachen, ist wissenschaftlicher Beirat der Alzheimer Forschung Initiative. So entsprechen etwa kreisförmig angelegte Wohngruppen dem Bewegungsdrang und dem fehlenden Orientierungssinn dementer Patienten satt sternförmig erschlossener Wohntrakte.
Überhaupt wirken körperliche und geistige Bewegung präventiv, so Schulz, und verzögernd auf den Krankheitsverlauf. „Es ist erwiesen, dass soziale Kontakte und der rege Austausch mit Mitmenschen das Gehirn anregen,“ bestätigt Siegfried Wolff, Geschäftsführer des Instituts für Qualitätskennzeichnung sozialer Dienstleistungen (IQD), das bei seinen Zertifizierungen gleichermaßen den Fokus auf die Lebensqualität der Bewohner legt.
Fokus auf Lebensqualität der Bewohner
Wer sich demnach vereinsamt vor dem Fernseher von einem seichten Programm berieseln lässt, hat ein erhöhtes Demenzrisiko. Weil dies auch die Pflegeheimbetreiber wissen, beschreiten immer mehr von ihnen in der Therapie Neuland und ziehen auch baulich nach. Da werden wie im Senioren-Wohnpark Cottbus ein großer Stall im Wintergarten für zehn Hasen angelegt.
Oder im Großharthauer Seniorenhäus’l in der Vorhalle zum Eingangsbereich ein Gehege für acht Weißbüscheläffchen errichtet, die durch einen Laufgang auch Zugang zu einem Außenbereich haben. Und während die Bewohner im Haus das Treiben der Affen durch eine große Glasscheibe beobachten, können sie die Tiere im Außenbereich auch anfassen und streicheln.
Ortungssystem verschafft Freiheit
Um seinen Bewohnern größtmögliche Bewegungsfreiheit zu lassen, hat die Wohngemeinschaft für Senioren, ein Altenpflegeheim für 130 Bewohner in Filderstadt, schon früh auf ein Ortungssystem gesetzt. Überschreitet ein Demenzkranker seinen programmierten Aktionsradius, wird per SMS eine Ortungsfunktion ausgelöst, um den Betroffenen rasch wieder zu finden. Ähnlich funktionieren Anlagen, die Aufzüge oder Türen verriegeln, sobald sie ein desorientierter Bewohner benutzen möchte.
Die Ludwigsburger Karlshöhe hat im März einen Raum als Zugabteil eingerichtet. In original Erste-Klasse-Sitzen zieht am virtuellen Fenster eine Landschaft vorbei, die digital eingespielt werden kann. Patienten mit fortgeschrittener Demenz können sich hier an weit zurückliegende Reiseerfahrungen erinnern.
Psychologie spielt große Rolle
In Bietigheim-Bissingen experimentiert man mit robotergesteuerten Plüschtieren, die selbst Emotionen zeigen und bei den Bewohnern Gefühlsregungen auslösen. Im Leonberger Samariterstift hält man im Außenbereich zwei Schafe hinter einem hüfthohen Lattenzaun. Die Idee: Die Bewohner fühlen sich nicht eingesperrt, sondern erleben den Zaun als Eingrenzung für die Paarhufer.
In Ostfildern wiederum probiert man betreute Wohnformen aus, in denen sich Ehrenamtliche und Profis die Arbeit rund um die Uhr teilen. Die Familien sprechen mit, bringen sich bis zu 20 Stunden im Monat ein, was die Kosten reduziert, und binden die Bewohner in den hauswirtschaftlichen Alltag ein.
Oft an Grenze zum Veräppeln
Auf Individualität setzt auch das Altenzentrum St. Elisabeth: Eine Bewohnerin, die immer bügeln wollte, was aus brandschutzrechtlichen Gründen nicht geht, bekam ein präpariertes Bügeleisen, das nur handwarm wird. Ein kaltes hatte sie abgelehnt, was belegt, wie sensibel das Umfeld mit Betroffenen umgehen muss, damit sie sich nicht veräppelt fühlen.
Acht- bis Zehntklässler besuchen in Winnenden regelmäßig Senioren im „Haus im Schelmenholz“ , um mit ihnen zu malen und ihnen notfalls den Pinsel zu führen. Die Idee: Wer sich verbal nicht mehr artikulieren kann, drückt seine Gefühle anderweitig aus. Im Seniorenzentrum „Am Rosengarten“ in Bondorf setzt man auch auf Maltherapie.
Clown statt Psychopharmaka
In der Wohngemeinschaft für Senioren in Filderstadt löst eine Demenzclownin bei den Bewohnern regelmäßig Gefühle und Reaktionen aus. Das sei humaner als Psychopharmaka, baue Stress bei den Bewohnern ab und beuge deren Aggressionen vor. „Hinterher ist die Atmosphäre immer friedlich und entspannt,“ sagt Heimleiterin Rosemarie Amos-Ziegler.
Andere Häuser setzen etwa auf Therapiehunde, die immer wieder Bewohner nach Jahren sogar zum Sprechen bringen.
(Clown Piepsi mit einem dementen Senior in der Wohngemeinschaft für Senioren in Filderstadt )